Der belgische Soldat Frans Annaert geriet im Oktober 1914 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Ab 1917 arbeitete er auf einem Bauernhof in Langenhagen, ein kleines Dorf in der Nähe von Duderstadt im Eichsfeld. Das Reglement über die Behandlung von Kriegsgefangenen schrieb vor: „Die Bevölkerung hat ihren Verkehr mit den Kriegsgefangenen auf die durch deren Arbeit, Unterbringung und Verpflegung gebotenen Verrichtungen zu beschränken.“ Doch in Langenhagen pflegte man statt dieser Regeln einen menschlichen Umgang mit Frans. Er wurde wie ein Familienmitglied behandelt und war in die Dorfgemeinschaft integriert. Ende Mai 1918 ereignete sich ein tragisches Unglück. Nach der Arbeit ging Frans mit anderen Leuten aus dem Dorf in der nahen Talsperre schwimmen. Dabei erlitt er einen Herzschlag und ertrank – das ganze Dorf trug Frans zu Grabe.
Im Juli 2025 wandte sich der Leiter des Bauhofs der Stadt Duderstadt, Frank Widera, an den Bezirksverband Braunschweig des Volksbunds. Wir hatten bereits in der Vergangenheit gut zusammengearbeitet Nun berichtete Frank Widera von außergewöhnlichen Fotos, die die Beerdigung von Frans Annaert zeigten und von einem Kontakt zu den Nachkommen – das gab den Anlass, eine Pulttafel am Grab aufzustellen.
Als Frans 1914 in Kriegsgefangenschaft geriet, war seine Frau schwanger. Seine Tochter und er lernten sich nie kennen. Aber nun konnten eine Urgroßenkelin und ein Urgroßneffe das Grab besuchen. Zur Einweihung der Tafel reisten insgesamt acht Nachkommen von Frans Annaert aus Belgien nach Langenhagen. Der kriegsgefangene Feind Frans Annaert war schon 1918 von den Menschen in Langenhagen nicht als Feind behandelt worden. Und nun, 107 Jahre nach seinem Tod, standen wir Nachgeborenen, Belgier und Deutsche, gemeinsam an seinem Grab. Warum mussten Männer wie Frans Annaert überhaupt Soldat werden und gegen andere Männer kämpfen, die sie nicht kannten und die ihnen persönlich nichts getan hatten? Sie alle wurden Opfer des Nationalismus, Opfer der Logik des Krieges – in Westeuropa haben wir diese Logik seit 80 Jahren überwunden; dem europäischen Projekt, dem Projekt der europäischen Einigung sei Dank!
Landrat Marcel Riethig, Kreisvorsitzender der Volksbunds, dankte den Nachkommen aus Belgien: „Ihre Teilnahme ist Zeichen von Versöhnung. Noch heute lebt Europa von solchen Augenblicken.“ (Die ganze Rede hier zum Download) Landrat Riethig überreichte Wim Annaert, ein Urgroßneffe von Frans, ein Faksimile von dessen Sterbeurkunde.
Ortsbürgermeister Andreas Diedrich sah in der Pulttafel ein Mahnmal, das vor den Folgen von Krieg und Gewalt warnt und gab einen Einblick in die Mahn- und Erinnerungsarbeit der Stadt Duderstadt. (Der gesamte Text der Rede hier zum Download)
Pfarrer Martin Brzenska schloss die Veranstaltung ab. Er betonte „die Tatsache, dass die Menschen hier ihn [Frans Annaert] mit denselben Ehren beisetzten, wie ihre eigenen verstorbenen Angehörigen, zeigt, dass sie ihn nicht als Fremden oder als Kriegsgegner, sondern als Mitmensch und als Bruder in Jesus Christus gesehen haben.“ (Hier die ganze Rede des Pfarrers zum Download)
Einige Tage nach der Einweihung schrieb Wim Annaert: „Was für eine unglaubliche Erfahrung hat unsere Familie während unseres Aufenthalts in Duderstadt-Langenhagen gemacht. Wir können Ihnen, Ihrem Bürgermeister und allen, die die Zeremonie ermöglicht haben, nicht genug danken.“

Bezirksverband Braunschweig