Meldungen aus dem Landesverband Niedersachsen
Meldungen aus dem Landesverband Niedersachsen

Französische Kriegsgefangene in Braunschweig 1870/71

Ein vergessenes Denkmal erhält eine Geschichts- und Erinnerungstafel

Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 ist heute weitgehend vergessen. Auf unseren Friedhöfen stehen unbeachtet noch Denkmäler, die an die Toten dieses lang zurückliegenden Kriegs erinnern. Das gilt auch für den Hauptfriedhof in Braunschweig. Dort findet sich ein Denkmal mit lateinischen und französischen Inschriften. Es erinnert an die französischen Kriegsgefangenen, die 1870/71 in Braunschweig starben.

Warum soll man diese Orte dem Vergessen entreißen? Schon Paul Valéry wusste doch, Geschichte ist „das gefährlichste Produkt, das die Chemie des Intellekts entwickelt hat“, denn, so erklärte er 1931: „Sie regt zum Träumen an, berauscht die Völker, erzeugt falsche Erinnerungen, übertreibt ihre Reflexe, hält ihre alten Wunden am Leben, quält die Völker in ihrer Ruhe, verleitet sie zum Größenwahn oder zum Verfolgungswahn und macht die Nationen bitter, superb, unerträglich und eitel.“  
 

Schülerinnen und Schüler der Gaußschule und ihre Geschichtslehrerinnen Eva Algermissen und Miriam Hesse geben eine andere Antwort. Sie haben sich in den vergangenen drei Schulhalbjahren in einem Seminarfach unter dem Titel „In der Hand des Feindes“ mit Kriegsgefangenschaft in Braunschweig, Europa und der Welt auseinandergesetzt und in diesem Rahmen die vergessene Geschichte der 600 französischen Kriegsgefangenen in Braunschweig aufgearbeitet. 39 von ihnen starben. Ihre Gräber existieren heute nicht mehr, wohl aber das Denkmal, das schon bald nach Kriegsende zu Beginn der 1870er Jahre von den „Oeuvres des Tombes et des Prières“ (Gräber- und Gebetswerk) errichtet wurde.

In Kooperation mit dem Bezirksverband Braunschweig und dem Souvenir Français erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler eine Geschichts- und Erinnerungstafel. Sie informiert über Kriegsgefangenschaft 1870/71, über den Alltag und die Unterbringung der Kriegsgefangenen, über die Toten und das Denkmal. Der Tafeltext schließt mit den Worten:

Wir, Schülerinnen und Schüler der Gaußschule, wollen mit dieser Tafel an das Schicksal der französischen Kriegsgefangenen erinnern und damit das Denkmal zu einem Symbol der Überwindung von Feindschaft und Krieg, zu einem Bekenntnis zur deutsch-französischen Freundschaft machen.

Die Schülerinnen und Schüler haben mit ihren Erklärungen zu dem Denkmal, das vor 150 Jahren von Franzosen errichtet wurden, einen deutsch-französischen Erinnerungsort in Braunschweig geschaffen. Und so trägt die Tafel das Logo des Volksbunds und das Logo seiner französischen Partnerorganisation, des Souvenir Français. Der Bildungsreferent des Volksbunds in Braunschweig ist zugleich Delegierter des Souvenir Français für das Land Niedersachsen.

Die Tafel wurde am 23. März eingeweiht. Jede Schülerin und jeder Schüler sowie die Gaußschule erhielten für ihr Engagement jeweils ein „Diplôme d’Honneur“, eine Ehrenurkunde, des Souvenir Français. Die Vertreterin der Stadt Braunschweig, Frau Dr. Annette Boldt-Stülzebach betonte, dass die Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalt der Vergangenheit den Blick auf die Konflikte der Gegenwart schärfe und vor den Verblendungen nationalistischer Haltungen warne. Der Vertreter der Propstei Braunschweig, Pfarrer Peter Kapp (lesen Sie die ganze Rede hier), hob eine Information der Tafel hervor: „Wir lesen auf der Tafel, dass es von Seiten der Braunschweigerinnen und Braunschweiger offenbar so freundlich zuging, dass die Obrigkeit daran erinnern musste, dass es sich doch eigentlich um Feinde handeln würde und man das auch bedenken möge. Menschlichkeit also kann gefährlich werden. Sie kann Fronten erweichen, kann tatsächlich aus Fremden Freunde machen. Wenn es doch in anderen Teilen dieser Welt auch so kommen könnte!“ – Geschichte mache die Nationen „bitter, superb, unerträglich und eitel“ hatte Paul Valéry 1931 gewarnt.

Die Arbeit der Schülerinnen und Schüler der Gaußschule zeigt, dass Geschichte ganz anders wirken kann, nämlich aufklärerisch und menschlich. Diesen Aspekt betonte ich als Bildungsreferent im Bezirk Braunschwieg und zugleich Delegierter des Souvenir Français für Niedersachsen: die Arbeit deutscher Schülerinnen und Schüler über ein französisches Denkmal, das an französische Tote erinnert, ist eine Form des gemeinsamen Gedenkens: das wirksamste Mittel, um die Nationalismen und Verwirrungen der Vergangenheit zu überwinden. Die Schülerinnen und Schüler teilten diese Ansicht. Ihr Sprecher, Johann Benscheidt (die ganze Rede lesen Sie hier), erklärte:

Wir hoffen mit dieser Gedenktafel ein Stück dazu beigetragen zu haben, dass das Leid, das durch Krieg ausgelöst wird, nie in Vergessenheit gerät; damit es solche Konflikte nicht mehr geben muss.

Die Einweihung der Geschichts- und Erinnerungstafel fand abends ihren Abschluss. Professor Etienne François sprach in der Aula der Gaußschule über die konfliktreiche deutsch-französische Geschichte und die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich.

Das Seminarfach, die Geschichts- und Erinnerungstafel als sein Produkt und die Veranstaltung zur Einweihung der Tafel offenbaren, welche Reichweite deutsch-französische Kooperation in der Bildungsarbeit entfalten kann, dank der Kooperation vom Souvenir Français und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.