Meldungen aus dem Landesverband Niedersachsen
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Geschichts- und Erinnerungstafeln auf dem St. Stephani-Friedhof in Helmstedt eingeweiht

Neue Ansätze für die lokale Erinnerungskultur

Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums am Bötschenberg haben zwei weitere Geschichts- und Erinnerungstafeln für den St. Stephani-Friedhof in Helmstedt erarbeitet. Sie setzen damit die Arbeit ihrer Schule fort, die 2023 begann.

Das diesjährige Projekt des Seminarfachs „Geschichte sichtbar machen“ wurde durch eine Studienfahrt nach Nord-Frankeich zu den Gedenkorten des Ersten Weltkrieges vorbereitet. Auf dem St. Stephani-Friedhof gibt es nämlich ein bemerkenswertes Gräberfeld, in dem deutsche Soldaten und russische Kriegsgefangene aus dem Ersten Weltkrieg gemeinsam ruhen. Der Gedenkstein nennt ihre Namen nicht getrennt nach Nationalitäten, sondern in alphabetischer Reihenfolge. Damit nimmt die Anlage aus den frühen 1950er Jahren aktuelle Konzepte der grenzüberschreitenden, transnationalen Erinnerung vorweg, die erst zum einhundertsten Jahrestag des Ersten Weltkriegs mit dem „Ring der Erinnerung“ (dem „Anneau de la Mémoire“) bei Notre-Dame-de-Lorette (Nordostfrankreich) realisiert wurden. Die Geschichts- und Erinnerungstafel rekonstruiert die Geschichte des Gräberfelds und stellt das Schicksal der deutschen Soldaten und der russischen Kriegsgefangenen vor. Schulleiter Jens Kobilke betonte, dass die Arbeit seiner Schülerinnen und Schüler ein Zeichen setze für Vielfalt und Frieden.

Merle Nennewitz, eine der Schülerinnen, stellte in ihrer Rede die Verbindung zu den Eindrücken her, die sie während der Studienfahrt in Frankreich gewonnen hatte: „Wir als Seminarfach des Gymnasiums am Bötschenberg wollen mit dieser Tafel einen Beitrag dazu leisten, dass wir uns auch hier in Helmstedt ganz konkret an dieses dunkle Kapitel europäischer Geschichte erinnern können.“

Die zweite Geschichts- und Erinnerungstafel wurde auf dem Gräberfeld eingeweiht, das bislang „Ehrenfriedhof“ genannt wurde. Die Schülerinnen und Schüler haben während ihrer Recherchen herausgefunden, dass der sogenannte „Ehrenfriedhof“ ein Projekt der Helmstedter Nationalsozialisten war. Die ersten Toten waren Angehörige der SS, die 1939 in Polen gefallen waren, die aber 1933 während der Machtergreifung der Nationalsozialisten politische Gegner brutal gefoltert hatten. Mara Tietz und Mohammad Al Ahmad brachten die Schwierigkeit ihrer Arbeit auf den Punkt: „Es ist eine Herausforderung, allen Geschichten der hier Begrabenen gerecht zu werden. Ihnen einerseits mit dem nötigen Respekt, der angebrachten Demut entgegenzutreten, andererseits aber auch nicht zu verschweigen, dass es auch in unserer Stadt viele Menschen gab, die sich nicht nur mit der hasserfüllten Ideologie der Nationalsozialisten identifizieren konnten, sondern diese auch aktiv mit Gewalt durchsetzten.“ Hier die gesamte Rede der Beiden.

Nach 1945 wurden Zwangsarbeiter auf das Gräberfeld zugebettet, der Name „Ehrenfriedhof“ aber weitergeführt. Bürgermeister Schobert fand in seiner Rede klare Worte: die Bezeichnung „Ehrenfriedhof“ sei nicht mehr angemessen. Die Stadt Helmstedt werde die Anlage umbenennen.

Landrat Gerhard Radeck lobte die Bildungsarbeit des Volksbunds. Die Aufarbeitung der Vergangenheit sei eine ständige Aufgabe. Genau das leiste das Engagement der Schülerinnen und Schüler. Man könne beruhigt in Zukunft blicken, denn in Ausblenden oder Verdrängen der Vergangenheit sei nicht zu befürchten.

Die Pastoren Martin Pyrek von der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Georg Calixt und Thomas Jung von der Katholischen Pfarrgemeinde St. Ludgeri beendeten die Veranstaltung. Sie hoben den besonderen Charakter der Kriegsgräber auf dem St. Stephani Friedhof hervor: „Einige dieser Gräber verdichten, wie ein Brennglas, unsere Geschichte und sind damit zugleich Mahnung für uns heute“. Den Toten sei eines gemeinsam, „dass die tödliche Utopie des Nationalsozialismus, Einfluss auf ihr Leben nahm und die einen von ihnen zu Tätern und die anderen von ihnen zu Opfern machte“ Die Pastoren schlossen mit einem Gebet, dessen Aussage sich sicherlich alle Menschen guten Willens – Gläubige und Nicht-Gläubige – zu eigen machen können: „Uns aber gibt den Mut, für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Würde aller Menschen einzutreten.“ Hier ihr Beitrag als Pdf.

In diesem Sinn soll die Bildungsarbeit des Volksbunds, sollen die Geschichts- und Erinnerungstafeln wirken.

Dr. Rainer Bendick Bildungsreferent

Bezirksverband Braunschweig