Meldungen aus dem Landesverband Niedersachsen
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Erinnerung an das Schicksal verstorbener Kinder von Zwangsarbeiterinnen in Riekenbostel

Geschichts- und Erinnerungstafel auf dem Friedhof eingeweiht

Unter großer Anteilnahme der örtlichen Bevölkerung wurde am 17. März im Rahmen einer Gedenkfeier in der Friedhofskapelle Riekenbostel eine Geschichts- und Erinnerungstafel eingeweiht, die künftig an das kurze Leben von 28 Kindern erinnern soll, die während der NS-Zeit in der sogenannten Kinderverwahranstalt Riekenbostel untergebracht waren. Sie starben an Unterernährung und Krankheiten. Ihre Mütter waren Zwangsarbeiterinnen, die im Landkreis Rotenburg (Wümme) arbeiten mussten. Sie stammten überwiegend aus Polen und Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Ihre Kinder galten nach der nationalsozialistischen Rassenideologie als minderwertig, auch die Arbeitsleistung der Mütter sollte weiterhin uneingeschränkt zur Verfügung stehen.

Bereits im Dezember 1942 hatte der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, per Erlass verfügt, dass Zwangsarbeiterinnen, sofern sie Kinder zur Welt brachten, diese in „Ausländerkinderpflegestätten einfachster Art“ abzugeben hatten. Auf der jetzt eingeweihten Tafel heißt es: „Der Landkreis Rotenburg/Hann. ließ zu diesem Zweck im Spätsommer 1944 das Häuslingshaus des Bauern Meyer in Riekenbostel Nr. 8 in Stand setzen bzw. ausbauen und ferner auf dem Hof ein Behelfsheim aufstellen. Außerdem wurde im Herbst 1944 zur Erweiterung des Heims mit dem Ausbau eines Schweinestalles auf dem Hof begonnen. Am 10. Oktober 1944 wurde die Einrichtung für 30 Kinder in Betrieb genommen.“

Aufarbeitung im Rahmen eines Schulprojektes

Die nun eingeweihte Geschichts- und Erinnerungstafel ist das Ergebnis eines Forschungsprojektes von Schülerinnen und Schülern des Beruflichen Gymnasiums der BBS in Rotenburg (Wümme). Heinz Promann, der jetzt das Scheeßeler Gemeindearchiv leitet, hatte sie als Geschichtslehrer bei der intensiven Auseinandersetzung mit der „Kinderverwahranstalt“ und den unmenschlichen Lebensbedingungen dort begleitet. Zitat von der Tafel: „Die Mütter durften ihre Kinder nur sonntags alle zwei Wochen besuchen. Das bedeutete, dass die Kinder keine Muttermilch mehr erhielten. Die Kuhmilch bildete keinen wirklichen Ersatz, viele Kinder litten und starben an einer Ernährungsstörung. Bei bis zu 30 zu versorgenden Kindern blieben häufig die Hygiene und die notwendige Zuwendung auf der Strecke. Waren die Kleinkinder ernsthaft erkrankt, brachte sie die Leiterin mit dem Fahrrad ins elf Kilometer entfernte Krankenhaus nach Rotenburg, im Winter 1944/45 bei Temperaturen bis zu minus 25 Grad. So verstarben 28 Kinder dieser Einrichtung, das jüngste wurde nur 17 Tage alt, das älteste Kind neun Monate. Sie wurden auf dem Friedhof des Zwangsarbeitsortes der Mutter oder auf dem Friedhof des Krankenhauses Rotenburg an der Lindenstraße beerdigt. Zum Kriegsende im April 1945 wurde die Kinderverwahranstalt Riekenbostel geschlossen, die überlebenden Kinder ihren Müttern übergeben.“

Bereits 2002 hatte Andrea Rindfleisch von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in einer Samtgemeinderatssitzung in Bothel gefragt, ob es eine Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels gegeben habe und ob die Opfer von damals entschädigt worden seien. Eine Aufarbeitung, so Promann, sei ihr damals mit Hinweis auf den Datenschutz verwehrt worden. Dennoch sei ihre Anfrage der Ausgangspunkt für die folgende Forschung und Dokumentation gewesen.

Die Arbeit von Promann und seinen Schülerinnen und Schülern dauerte bis 2017. In der Folge wurden in den letzten Jahren bereits in Rotenburg (Friedhof Lindenstraße), Waffensen und Lüdingen Geschichts- und Erinnerungstafeln eingeweiht – alles Orte an denen ebenfalls Kinder aus der „Kinderverwahranstalt Riekenbostel“ beerdigt sind.

Gedenkort Friedhof

Ein Gedenken am Ort der ehemaligen Kinderbewahranstalt ist nicht mehr möglich - Hof und Häuslingshaus existieren nicht mehr. „Der Friedhof bietet sich daher an“, sagt Kirchwalsedes Bürgermeister Friedrich Lüning. „Mit der Infotafel soll keine Stigmatisierung der damaligen Bewohner Riekenbostels vorgenommen werden. Diese waren nicht gefragt und auch an der Umsetzung nicht beteiligt worden. Die Einrichtung ist dem kleinen, zentral gelegenen Ort von der Landkreisverwaltung aufgezwungen worden“, ergänzt der Bürgermeister. „Hier sollte an diese Kinder mit Namen, Geburts- und Sterbedatum erinnert werden“, sagt Lüning, er findet den Friedhof Riekenbostel als Gedenkort richtig.

Gedenken an alle Toten des Krieges

Der Geschäftsführer des Bezirksverbandes, Jan Effinger, stellte in seiner Gedenkrede die Frage: „Was also hat diese Arbeit [die des Volksbundes] mit den Kindern der ‚Kinderverwahranstalt‘ Riekenbostel zu tun, derer wir heute hier gedenken?“. Er verdeutlichte den Zusammenhang anhand zweier Einzelschicksale: „Bartja Racsorowska, deren Name wir auf der ‚Geschichts- und Erinnerungstafel Riekenbostel‘ finden, und Heinrich Lüdemann, dem ein Erinnerungsstein des hiesigen Ehrenmales gewidmet ist. Beiden gemeinsam ist zunächst einmal ihr Geburtsort Riekenbostel.“

Der 18-jährige Lüdemann fiel als Wehrmachtssoldat am 15. Oktober 1944 in Ostpolen, Bartjas Mutter Stanislawa Racsorowska stammte aus der heutigen Ukraine und wurde im Sommer 1941 zur Zwangsarbeit rekrutiert und nach Deutschland deportiert. Ihre Tochter starb am 20. Februar 1945 in der „Kinderverwahranstalt“.

Effinger weiter: „‚Versöhnung über den Gräbern, Arbeit für den Frieden‘ lautet das Motto des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Und nur so funktioniert das: Indem wir uns für die Gräber aller Toten dieses Krieges einsetzen. Wenn wir hier heute die ‚Geschichts- und Erinnerungstafel Riekenbostel‘ einweihen mit den Namen jener Kinder, denen ein unmenschliches Regime das Lebensrecht abgesprochen hatte, ist dies eine weiteres Signal der Versöhnungsbereitschaft und der Völkerverständigung. Dass diese Tafel hier auf dem Friedhof neben dem Ehrenmal für die Gefallenen der Weltkriege ihren Platz gefunden hat, geht auf die Einsicht zurück, dass auch diese Kinder Teil unserer Geschichte sind. Auch sie gehören zu ‚unseren Toten‘. Diese Erinnerung hilft dem Volksbund auch bei seiner Arbeit im Ausland. Darum stehe ich heute hier.“ Die vollständige Gedenkrede finden Sie hier.

Die Arbeit an der Geschichts- und Erinnerungstafel sowie das Aufstellen wurde vom Volksbund, Bezirksverband Lüneburg/Stade, unterstützt. Die Tafel mit den Namen und Lebensdaten der Kinder finden Sie hier zur Ansicht.