Meldungen aus dem Landesverband Niedersachsen
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Landesfeier zum Volkstrauertag in Osterholz-Scharmbeck

Krieg war gegenwärtig! Reden bei Landesfeier zum Volkstrauertag 2022 geprägt von der Gewalt in der Ukraine

Stadt Osterholz-Scharmbeck

Am Samstag, den 12. November, fand die zentrale Landesfeier zum Volkstrauertag in der ev.-luth. St.-Willehadi- Kirche in Osterholz-Scharmbeck statt.

Der 1922 erstmals in ganz Deutschland begangene Volkstrauertag stand damals unter dem Eindruck der mehr als 3,5 Millionen Toten des Ersten Weltkrieges. Die Umbenennung unter den Nationalsozialisten in „Heldengedenktag“ diente auch dazu die nationalsozialistische Propagandamaschinerie zu bedienen: Kriegstote waren nun die heldenhaften Vorbilder. Am Ende des Zweiten Weltkrieges, einem von Deutschland begonnenen Angriffskrieges, waren allein in Europa mehr als 40 Millionen Menschenleben zu beklagen. Zunächst aber wurde das Leid der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung im Gedenken verdrängt, das eigene Leid in den Vordergrund gehoben. Aufgrund politischer Debatten und historischer Forschung war der Volkstrauertag in den folgenden Jahrzehnten einem stetigen Wandel unterzogen. Dies spiegelt sich auch im Text des Totengedenkens wider, welches über die Jahre immer wieder von verschiedenen Bundespräsidenten aktualisiert wurde und in dem heute allen Opfern von Kriegen, Flucht, Verfolgung, Hass und Gewalt gedacht wird. 

Aber immer wieder wurde der Volkstrauertag in den letzten Jahrzehnten auch in Frage gestellt. Benötigt man einen zentralen Tag des Gedenkens auch in der Zukunft? Unter den Eindrücken des Krieges in der Ukraine, der am 24. Februar dieses Jahres mit dem russischen Angriff auf das Land begann, so waren sich alle Rednerinnen und Redner einig, ist ein Tag des Gedenkens an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft aktueller und notwendiger denn je. Und so standen in diesem Jahr die Menschen in der Ukraine in den Redebeiträgen im Vordergrund.

So auch beim Empfang, zu dem Bürgermeister Torsten Rohde um 13:00 Uhr in das Rathaus der Stadt Osterholz-Scharmbeck geladen hatte, hier wurden die Gäste sowohl von ihm als auch von Grant Hendrik Tonne, dem Landesvorsitzenden des Volksbundes Niedersachsen, begrüßt. 

Um 14:00 Uhr lud Schulleiterin Daniela Thies die Gäste in die Berufsbildende Schule (BBS) ein. Dort wurde das Schulprojekt „Stelen für den Todesmarsch“ vorgestellt. Die von den Schülerinnen und Schülern entwickelten und hergestellten Stelen werden am Weg des Todesmarsches von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern von Bremen-Farge nach Sandbostel aufgestellt. Zudem wurde die Volksbundausstellung „Geflohen, vertrieben – angekommen?!“ eröffnet. Der „Weg des Gedenkens“ wurde mit Kranzniederlegungen am Jüdischen Mahnmal, am Denkmal „Für alle“ im Stadtpark und am Denkmal der gefallenen Feuerwehrleute am Schlauchturm fortgesetzt. Es sprachen die stellvertretende Bürgermeisterin Brigitte Neuern-Krämer, der stellvertretende Bürgermeister und Ratsvorsitzender Klaus Sass und der stellvertretende Stadtbrandmeister Michael Dirschauer.

Vor zahlreichen Gästen hob Pastor Henning Mahnken in seiner Begrüßung zur Gedenkfeier um 16:30 Uhr hervor, wie viele Wechsel von Krieg und Frieden die St. Willehadi-Kirche im Laufe ihrer Geschichte bereits erlebt habe. Kirche stehe in diesem Erleben für Beständigkeit, Orientierung und Trost.

Grant Hendrick Tonne, der Landesvorsitzender des Volksbundes Niedersachsen, betonte in seiner Begrüßungsansprache, dass durch den Krieg in der Ukraine die Frage des Friedens weltweit neu gestellt sei. Schon jetzt sei erkennbar, dass ein gemeinsames, weltweites Vorgehen in der Klimapolitik, in der Bekämpfung von Rassismus und Geschlechterungleichheit, von Armut und Hunger nur unter den Bedingungen relativen Friedens und internationaler Verständigung möglich sei.

Hauptredner Prof. Dr. Jochen Oltmer, einer der führenden deutschen Migrationsforscher von der Universität Osnabrück, hob hervor, dass am Volkstrauertag die wechselvolle Geschichte von Kriegen gut ablesbar sei. „Gedächtnis und Gedenken seien nie stabil. Eine Gesellschaft handele beides vielmehr immer wieder neu unter Beteiligung Vieler“ aus. In Bezug auf den Krieg in der Ukraine erklärte er: „Krieg, Bürgerkrieg und Staatszerfall führen zu Fluchtbewegungen. Aber auch autoritäre politische Systeme bewirken räumliche Bewegungen durch die Ausübung und Androhung von Gewalt. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts prägten bekanntermaßen weithin nationalistische, faschistische und kommunistische Regime, die ihre Herrschaft durch die Homogenisierung, also die Vereinheitlichung ihrer Bevölkerungen, vor dem Hintergrund spezifischer weltanschaulicher Vorstellungen zu sichern suchten.“ Letzteres treffe gegenwärtig auch auf Russland zu. 

Schülerinnen und Schüler des Gymnasium Osterholz-Scharmbeck stellten das deutsch-polnische Projekt „Erinnern für die Zukunft: der Breslau-Austausch“, das sich mit der jüdischen Geschichte Breslaus und Osterholz-Scharmbecks beschäftigt, in einem Filmbeitrag vor. 

Das Totengedenken sprach die gerade erst gewählte Präsidentin des Niedersächsischen Landtags, Hanna Naber. 

Musikalisch begleitet wurde die Gedenkveranstaltung von Sopranistin Hanna Thyssen, Eva Pressl (Harfe), Juan Alfonso Cobos (Cello) und Leon Kopecny (Orgel).

Eingeladen hatte der Niedersächsische Landtag, die Niedersächsische Landesregierung, der Landkreis Osterholz, die Stadt Osterholz-Scharmbeck und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., Landesverband Niedersachsen.