Meldungen aus dem Landesverband Niedersachsen
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Wie wirkt der Volksbund?

Der – oft verkannte – Mehrwert der Bildungsarbeit

Die Kriegsgräber in Dalldorf, nun aufgewertet durch eine Geschichts- und Erinnerungstafel


„Kriegsgräberfürsorge“ ist ein sperriges Wort – nicht nur mit Blick auf die Aussprache, sondern auch und vor allem mit Blick auf den Inhalt: Was ist „Kriegsgräberfürsorge“?

Viele Menschen denken an die gärtnerische Pflege von deutschen Soldatengräbern irgendwo im Ausland. Jedoch geht „Kriegsgräberfürsorge“ nicht in gärtnerischer Arbeit auf; und sie beschränkt sich auch nicht auf deutsche Soldatengräber im Ausland. Auf fast jedem deutschen Friedhof gibt es Kriegsgräber. Oft liegen dort keine deutschen Soldaten, sondern Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen und nicht selten auch deren Kinder.

„Kriegsgräberfürsorge“, wie der Volksbund sie versteht, bedeutet immer auch Aufklären und Informieren über das Schicksal von Kriegstoten. Der Volksbund versteht Kriegsgräber als Lern- und Gedenkorte. Kriegsgräber überliefern sehr direkt die fundamentalsten, die schrecklichsten Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft, nämlich die Toten. Am Kriegsgrab drängt sich die Auseinandersetzung mit den Umständen geradezu auf, die dazu führten, dass Menschen im Krieg ihr Leben verloren. Und darum betreibt der Volksbund eine umfassende Bildungsarbeit. Diese Bildungsarbeit bedeutet nicht, dass die Bildungsreferenten „mal mit Kindern auf eine Kriegsgräberstätte gehen“. Vielmehr arbeiten sie so, dass am Ende immer ein Produkt steht – oft eine Geschichts- und Erinnerungstafel. Das ist eine Informationstafel, die das fragliche Kriegsgrab vorstellt. Diese Tafeln machen Kriegsgräber lesbar. Wo Friedhofsbesucher zuvor nur Grabsteine sahen, erfahren sie nun etwas über die Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft in ihrer Gemeinde.

Im Bereich des Bezirksverbands Braunschweig wurden im vergangenen Schuljahr ein Dutzend solcher Tafeln eingeweiht.

Hier folgen einige Beispiele. Sie zeigen, wie die Produkte der Bildungsarbeit einerseits den beteiligten Schülerinnen und Schülern ganz besondere Kenntnisse und Erfahrungen vermitteln und andererseits ein Gräberfeld dem Vergessen entreißen, die Lokalgeschichte aufarbeiten und nachdrücklich für Frieden, Freiheit und Menschenrechte plädieren.

Schülerinnen und Schüler der Haupt- und Realschule Clausthal-Zellerfeld haben ein Gräberfeld auf dem Ev.-luth. Friedhof Clausthal erklärt. Dort sind Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie deren Kinder bestattet. Die Tafel finden Sie in unserer Mediathek.
 

Schülerinnen und Schüler des Werner-von- Siemens-Gymnasiums (Bad Harzburg) haben über zwei Gräberfelder auf dem Friedhof Bad Harzburg gearbeitet:

Gräber von deutschen Soldaten, die während des Ersten Weltkriegs in den Lazaretten der Stadt verstarben. Die Schülerinnen und Schüler zeigen, wie die Erinnerung an den Weltkrieg in den 1920er Jahren zwischen Trauer und Revanche changierte.

Gräber von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, die während des Zweiten Weltkriegs in Bad Harzburg verstarben. Diese Gräber waren in Vergessenheit geraten. Sieben der acht Toten haben keinen Grabstein. Die Arbeit der Schüler informiert über deren Schicksal.

Schülerinnen und Schüler der Sally-Perel-Realschule in Meinersen haben für die Gräber von zwei ukrainischen Zwangsarbeiterinnen auf dem Friedhof in Dalldorf eine Geschichts- und Erinnerungstafel erarbeitet. Die Tafel zeigt, wie das Schicksal der Kriegstoten miteinander verwoben ist. Eine der Zwangsarbeiterinnen arbeitete in der Konservenfabrik, wo auch ein junger Mann aus Dalldorf gearbeitet hatte, bevor er Soldat wurde und in der Nähe von Schytomyr fiel – derjenigen Stadt, aus der die Zwangsarbeiterin kam.

Schülerinnen und Schüler der IGS Einbeck haben über ein Gräberfeld auf dem Zentralfriedhof Einbeck gearbeitet, wo Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg bestattet sind, Lazaretttote und Kindersoldaten aus der HJ, die am Ende des Krieges von fanatischen Nationalsozialisten und blindem militärischen Gehorsam in den Tod geführt wurden. Sie waren kaum älter als die Schülerinnen und Schüler.

Schülerinnen und Schüler der IGS Salzgitter haben über ein Massengrab auf dem Friedhof in Salzgitter-Bleckenstedt gearbeitet. Hier wurden 1945 Opfer eines Luftangriffs beerdigt. Die Schülerinnen und Schüler konnten zeigen, wie der Rassismus der Nationalsozialisten die Menschen bis in den Tod trennte und auch noch heute auf unseren Friedhöfen sichtbar ist. Während die deutschen Opfer des Luftangriffs auf dem Friedhof in Bleckenstedt beigesetzt wurden, wurden die Zwangsarbeiter, die am gleichen Ort lebten wie die Deutschen und dort zur gleichen Zeit, unter den gleichen Umständen starben, auf dem sogenannten „Ausländerfriedhof“ in Westerholz beerdigt.

Schülerinnen und Schüler der Realschule Fallersleben haben die Geschichte der Kriegsgräber auf dem Friedhof in Wolfburg-Ehmen erforscht. Ihre Geschichts- und Erinnerungstafel informiert über das tragische Schicksal eines 15-jährigen Jungen, der kurz nach Kriegsende durch eine Granate getötet wurde; zudem setzt sie sich mit der Inschrift „Sie starben für uns“ auf einem drei deutschen Soldaten gewidmeten Grabstein auseinander. Diese Soldaten starben am 21. April 1945 bei einem Angriff auf das Gebiet um Fallersleben, in dem US-Streitkräfte bereits seit dem 11. April die Herrschaft der Nationalsozialisten beendet hatten.

Schülerinnen und Schüler der Oberschule Herzberg haben über zwei Gräberfelder gearbeitet:

Das Schicksal der KZ-Häftlinge war in Herzberg bislang unbekannt. Die Schülerinnen und Schüler haben einen Teil ihres Leidenswegs rekonstruiert. Fortan bleibt diese Geschichte nicht mehr im Dunkeln.

Pastor Heimann als Vertreter der St. Nicolai-Kirchengemeinde in Herzberg brachte den Sinn der Geschichts- und Erinnerungstafeln in seiner Ansprache auf den Punkt: „Diese Tafeln sind ein Beitrag dazu, deutlich zu machen, wohin nationalistisches und extremistisches Gedankengut und Verhalten führen. Wir müssen alles daransetzen, dass sich solche Schicksale niemals wiederholen. Frieden und Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit sind keine Selbstverständlichkeit, nirgendwo in der Welt. Frieden und Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit sind ein Auftrag – an jede und jeden einzelnen von uns.

Er schloss mit einem Gebet, dessen Aussage sich sicherlich alle Menschen guten Willens – Gläubige und Nicht-Gläubige – zu eigen machen können:

„Du, Gott in der Höhe, bei Dir ist Barmherzigkeit in Fülle. […]
Lass diese Erinnerungstafeln ein Zeichen werden zur Mahnung und zur Belehrung.
Lass uns alle uns als Deine Geschöpfe erkennen, Deine Kinder, unsere Mitmenschen,
unsere Brüder und Schwestern, die wir zu achten und zu unterstützen haben.
Hilf uns, das Unsere zu tun, dass solche Verbrechen sich niemals wiederholen.
Lass uns mit ganzer Kraft uns einsetzen für eine Welt,
in der alle in Frieden und Freiheit leben können.“

In diesem Sinn sollen die Geschichts- und Erinnerungstafeln wirken.

Im kommenden Schuljahr werden wieder an vielen Orten im Bezirksverband Braunschweig neue Tafeln erarbeitet, in Westerholz, Duderstadt, Helmstedt, Clausthal-Zellerfeld, Braunlage, Hohegeiß, Münchehof, Nörten-Hardenberg, Meinersen und Steinlah.

Weitere Angebote für Schulen haben wir hier für Sie zusammengestellt.

Dr. Rainer Bendick Bildungsreferent

Bezirksverband Braunschweig